Eine wenige Minuten dauernde Mithilfe beim Kühetreiben ist nicht unfallversichert

Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.06.2011 – L 3 U 134/09

Eine vorübergehende, für die Dauer von fünf Minuten erbrachte Mithilfe beim Kühetreiben an einen Landwirt durch dessen Bekannten ist nicht nach § 2 Abs. 1 Ziffer 1 SGB VII unfallversichert. Versicherungsschutz ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, wenn der Bekannte nicht „wie ein Beschäftigter, sondern im Wege einer Gefälligkeit mitgeholfen hat (Rn 18).

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 7. April 2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Klägerin streitet um die Anerkennung eines Unfalles als Arbeitsunfall sowie um die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die gesundheitlichen Folgen desselben.

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Die Klägerin erlitt am 25. August 2002, einem Sonntag, kurz nach 18.00 Uhr einen schweren Unfall auf der Landstraße in D. bei E., als sie von einem von F. gefahrenen Motorrad erfasst wurde. Zeitgleich führten vier Mitglieder der Familie C. einen Viehtrieb im Bereich der Unfallstelle durch. Dr. PG. stellte im Anschluss im Klinikum ZS. eine offene Unterschenkelfraktur links, eine Innenknöchelfraktur links, eine offene Unterarmfraktur rechts sowie Schürfwunden am rechten Unterschenkel und eine Risswunde am linken Oberschenkel fest. Im Erörterungstermin vom 7. Dezember 2010 hat die Klägerin über noch andauernde Funktionseinschränkungen an rechtem Arm/rechter Hand und vor allem an linkem Bein berichtet, wo sie mittlerweile zehnmal operiert worden sei und weitere Untersuchungen und eventuell auch Operationen anstünden.

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Mit Unfallanzeige vom 9. Juni 2005 teilte der Unternehmer G.-C. mit, die Klägerin sei nicht beim Viehtrieb der Familie C. beschäftigt gewesen, der am 25. August 2002 im Beisein der Eheleute C. durchgeführt worden sei. Mit formlosem Bescheid vom 15. Juni 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall ab. Denn die Klägerin sei lediglich als Passantin anwesend gewesen und habe keine dem landwirtschaftlichen Betrieb C. zurechenbare Arbeiten verrichtet.

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Die Klägerin legte am 8. Juli 2005 Widerspruch ein und trug vor, sie sei zusammen mit ihrem Ehemann zu Fuß zur Unfallstelle gekommen. Herr C. habe zu diesem Zeitpunkt Kühe über die Straße getrieben und die Eheleute A. gefragt, ob diese helfen könnten. Aufgrund dessen habe sie die Straßenseite gewechselt, um Herrn C. helfen zu können. Hätte sie dies nicht getan, wäre der Unfall nicht passiert. Die Beklagte führte telefonisch Rücksprache mit dem Unternehmer G.-C., der angab, es habe genügend eigenes Personal zur Verfügung gestanden, um den etwa eine viertel Stunde dauernden Viehtrieb über die Straße zu bewerkstelligen. Ein Auftrag zur Mithilfe sei nicht an die Klägerin ergangen (Telefonvermerk vom 11. August 2005). Die Ehefrau des Unternehmers I.-C., sein Bruder H.-C. und seine Eltern J. und K.-C., die den Viehtrieb durchführen, beantworteten eine schriftliche Anfrage an den Unternehmer G.-C. In der von ihnen unterschriebenen, bei der Beklagten am 16. August 2005 eingegangenen Erklärung heißt es, an die Klägerin sei keine Aufforderung zum Helfen ergangen. H.-C. habe als Spruch geäußert: „Jetzt bekommen wir aber Hilfe“. Der Viehtrieb hätte 15 Minuten in Anspruch genommen. Die Beklagte zog die Akte des Amtsgerichts L. aus dem wegen Zahlung von Schmerzensgeld geführten Rechtsstreit des Motorradfahrers F. gegen K.-C. bei, in der H. J. und I.-C. sowie M. und N.-A. am 26. August 2004 als Zeugen gehört wurden und die polizeilichen Vernehmungsprotokolle des Ehepaares A. vom 22. November 2000 enthält. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005 wies die Beklagte sodann den Widerspruch der Klägerin zurück. Denn die Klägerin und ihr Ehemann hätten in der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts L. angegeben, am Sonntag gegen 18.00 Uhr von E. in Richtung D. auf dem Bürgersteig gegangen zu sein, als sie an die Stelle gekommen seien, wo vier Mitglieder der Familie C. die Straße abgesichert hätten, um Kühe über die Straße von einer Weide auf eine andere gegenüber liegende zu treiben. Da sie H.-C. persönlich gekannt hätten, seien sie über die Straße gegangen, um sich mit ihm zu unterhalten. Dort sei die Klägerin kurz darauf von einem aus Richtung E. kommenden Motorrad erfasst und verletzt worden. Eine Hilfeleistung bei dem vorgesehenen Viehtrieb sei danach nicht erfolgt. Auch könne die scherzhafte Begrüßung durch H.-C. mit den Worten „Jetzt bekommen wir aber Hilfe“ nicht als ernsthafte Aufforderung gewertet werden, bei dem Viehtrieb der Familie C. zu helfen. Es hätten insgesamt fünf Kühe über die Straße getrieben werden sollen. Als die Klägerin die spätere Unfallstelle erreicht habe, habe bereits ein Tier auf der gegenüberliegenden Weide gestanden, so dass nur noch vier über die Straße gemusst hätten. Dafür seien die vier im Umgang mit Tieren erfahrenen Mitglieder der Familie C. anwesend und eine Hilfe von Seiten der Klägerin nicht nötig gewesen. Die Klägerin habe im Übrigen keine Arbeitskleidung getragen und eine dem landwirtschaftlichen Unternehmen wesentlich dienende Tätigkeit nicht erbracht.

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Dagegen hat die Klägerin am 20. September 2005 vor dem Sozialgericht Kassel Klage erhoben mit der Begründung, ausweislich der Zeugenaussagen vor dem Amtsgericht L. sei beabsichtigt gewesen, zwei Bänder über die Straße zu spannen, um die Kühe von einer Weide zur anderen zu treiben. Für das Spannen der Bänder würden vier Personen benötigt und eine weitere, um die Kühe über die Weide zu treiben. Dass man fünf Personen benötige, lasse es naheliegend erscheinen, dass sie aufgefordert worden sei zu helfen, um zumindest die eine Seite des Absperrbandes zu halten. Denn die Familie C. hätte allein den Viehtrieb gar nicht bewältigen können. Danach handele es sich um einen Arbeitsunfall, für den die Beklagte eintrittspflichtig sei.

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Das Sozialgericht hat den Zeugen H.-C. im Kammertermin vom 16. Juni 2008 vernommen, I.-C., K.-C. und J.-C. haben schriftliche Zeugenaussagen vom 4. Juli 2008 gemacht, J.-C. sowie N.-A. wurden als Zeugen im Kammertermin vom 7. April 2009 gehört, bevor das Sozialgericht mit Urteil vom 7. April 2009 die Klage abgewiesen hat. Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles seien nicht erwiesen, wobei Versicherungsschutz nur nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII für eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit der Klägerin in Betracht komme. Eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit sei zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen, da die Angaben der Klägerin uneinheitlich seien und die der gehörten Zeugen zum Teil erheblich voneinander abweichen würden. Letztlich könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin eine ernstliche, fremdnützige und beschäftigungsähnliche Tätigkeit ausgeübt habe bzw. habe ausüben wollen, als sie den Unfall vom 25. August 2002 erlitten habe. Es sei schon nicht zweifelsfrei geklärt, ob die Klägerin um Mithilfe gebeten worden sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass entweder J.-C. oder H.-C. den aus Sicht der Klägerin ernst gemeinten Satz „Jetzt bekommen wir aber Hilfe“ ausgesprochen habe, so habe sich letztlich nicht ermitteln lassen, welche Hilfstätigkeit die Klägerin habe ausüben sollen.

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Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. Mai 2009 zugestellte Urteil am 12. Juni 2009 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Zeugenaussagen der Mitglieder der Familie C. seien letztlich nicht verwertbar, da sie widersprüchlich und teilweise falsch seien, da die Familienmitglieder Haftungsansprüche fürchteten. Glaubhaft und überzeugend seien allein die Zeugenaussage des N.-A. sowie auch die Angaben der Klägerin. Im Ergebnis habe es sich bei der Mithilfe der Klägerin um keine bloße Gefälligkeitsleistung gehandelt, sondern sie sei arbeitnehmerähnlich tätig geworden. Sie habe keine selbstverständlich zu erwartende Hilfeleistung erbracht und habe keinerlei Eigeninteresse verfolgt, wobei zudem zu berücksichtigen sei, dass keine freundschaftlichen oder sonstwie engen Beziehungen zwischen den Familien C. und A. bestanden hätten.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 7. April 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2005 zu verurteilen festzustellen, dass die bei dem Unfall vom 25. August 2002 erlittenen Verletzungen Unterschenkelfraktur links, Unterarmfraktur rechts, Innenknöchelfraktur links, Schürfwunde rechter Unterschenkel und Risswunde linker Oberschenkel Folgen eines Arbeitsunfalls sind.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und ein versichertes arbeitnehmerähnliches Tätigwerden der Klägerin nicht für erwiesen. Die Klägerin sei letztlich auch mit der Familie C. gut bekannt gewesen.

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Im Berufungsverfahren wurde die Akte des Amtsgerichts O. (früher L.) aus der zivilrechtlichen Streitsache F. gegen C., Az.: x., beigezogen, zudem die Akte der Staatsanwaltschaft ZS. aus der Bußgeldsache gegen F., XF. und C., K. (Az. x.). Im Erörterungstermin vom 7. Dezember 2010 wurde die Klägerin zum aktuellen Zustand ihrer weiterhin bestehenden Folgen des Arbeitsunfalles vom 25. August 2002 sowie zum Unfallhergang angehört und als Zeugen N.-A. und H.-C. vernommen. Schließlich hat das Berufungsgericht noch die schriftliche Zeugenaussage der J.-C. vom 20. März 2011 eingeholt.

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Beide Beteiligte haben sich schließlich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Wegen Details der Angaben der Klägerin sowie der Zeugenaussagen wird auf die Protokolle der jeweiligen Gerichtstermine sowie im Übrigen auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beigezogenen Akten Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens gewesen sind.


Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht erhobene zulässige Berufung der Klägerin (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG), über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG), ist nicht begründet. Denn das Sozialgericht Kassel hat mit Urteil vom 7. April 2009 im Ergebnis zu Recht auf die von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 Ziffer 1 sowie 55 Abs. 1 Ziffer 3 SGG – dazu Keller in: Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetzt, Kommentar, 9. Auflage, Anm. 13 zu § 55) erkannt, dass das Ereignis vom 25. August 2002 nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen und die von der Klägerin geltend gemachten Erkrankungen nicht als Folgen eines Arbeitsunfalls festzustellen sind. Das Feststellungsinteresse der Klägerin resultiert daraus, dass sie sowohl an den Folgen der rechtsseitigen Unterarmbruchverletzung und vor allem an den Frakturen des rechten Beines bis heute leidet und ständiger medizinischer Behandlung bedarf, wie die Klägerin im Erörterungstermin vom 7. Dezember 2010 dargelegt hat.

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Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit, wobei § 2 Abs. 1 Ziffer 1 SGB VII „Beschäftigte“ unter gesetzlichen Unfallversicherungsschutz stellt und § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII solche Personen, die „wie Beschäftigte“ tätig werden.

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Die Klägerin hat am 25. August 2002 einen „Unfall“ im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB erlitten, denn ein von außen auf ihren Körper einwirkendes Ereignis hat zu einem Gesundheitsschaden geführt. Das mit gesundheitlichen Dauerfolgen für die Klägerin verbliebene Unfallereignis vom 25. August 2002 war nicht als Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII) festzustellen, weil die Klägerin in keinem Arbeitsverhältnis zum landwirtschaftlichen Unternehmer G.-C. stand, nicht „Beschäftigte“ dieses Unternehmers und daher auch nicht nach § 2 Abs. 1 Ziffer 1 SGB VII versichert war. Versicherungsschutz ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, da die Klägerin nicht „wie eine Beschäftigte“ sondern im Wege einer Gefälligkeit beim Viehtrieb der Familie C. mitgeholfen hat.

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Die Vorschrift § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gewährt nach ihrem Normzeck Versicherungsschutz auch in den Fällen, in denen selbst bei vorübergehenden Tätigkeiten die Grundstruktur eines Beschäftigungsverhältnisses als Versicherungsgrund vorliegt. Auch wenn die Vorgabe des früheren § 539 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), wonach auch eine vorübergehende Tätigkeit versichert war, weggefallen ist, ändert dies bei Auslegung des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nichts. Die Bestimmung will indessen keine allgemeine Volksversicherung und keine Versicherung allein aus Billigkeitsgründen schaffen (Kruschinsky, in: Becker u.a., Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) – Kommentar, Anmerkung 142 zu § 2; Bieresborn in: Brandenburger, Juris Praxiskommentar SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung, Anmerkung 253 zu § 2; Riebel in: Hauck, Sozialgesetzbuch SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung – Kommentar, Anmerkungen 267, 269 zu § 2; BSG SozR 2200 Nr. 66 zu § 539). Zur Begründung des Versicherungsschutzes müssen vielmehr folgende Voraussetzungen vorliegen, die die Zurechnung des Haftungsrisikos zum nutznießenden Unternehmen rechtfertigen: Es muss sich um eine mehr oder weniger vorübergehende, ernsthafte, wesentlich dem Unternehmen zu dienen bestimmte Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert handeln, die in innerem Zusammenhang mit dem unterstützen Unternehmen steht. Die Tätigkeit muss dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechen. Sie muss ihrer Art nach von Personen verrichtet werden können, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen und unter solchen Umständen geleistet werden, dass sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. Die Tätigkeit darf nicht in anderer Funktion verrichtet werden. Eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützenden Unternehmen muss nicht vorliegen und die Beweggründe des Handelns sind für den Versicherungsschutz nicht erheblich. Grundsätzlich schließen auch Freundschafts- und Gefälligkeitsdienste den Versicherungsschutz nicht aus (BSG SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 25 Schwerdtfeger in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, Anmerkung 641 zu § 2; Franke in Franke, Molkentin, Sozialgesetzbuch VII Gesetzliche Unfallversicherung Lehr- und Praxiskommentar, 2. Auflage, Anmerkung 211 zu § 2). Der wirtschaftliche Wert für das betroffene Unternehmen ist zu bejahen, wenn die Handlung betrieblichen Belangen dient und einen zumindest geringen Nutzen bringt (Riebel, a.a.O., Anmerkung 271; Bieresborn, a.a.O., Anmerkung 255; BSGE 25, 102, 104). Im Hinblick auf den mutmaßlichen Willen des Unternehmers ist entscheidend, wie der Handelnde bei vernünftiger Würdigung aller objektiven Umstände den Willen des Unternehmers auffassen durfte (Riebel, a.a.O., Anmerkung 274; BSG SozR 2200 Nrn. 58, 67 zu § 539 RVO). Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind nur solche Tätigkeiten, die den Unternehmerinteressen offensichtlich zuwider laufen bzw. unsinnig sind (Kruschinsky, a.a.O., Anmerkung 869 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Um die Arbeitnehmerähnlichkeit einer Verrichtung zu beurteilen, ist auf das Gesamtbild des beabsichtigten Vorhabens abzustellen und nicht nur die einzelne Verrichtung zu betrachten (Kruschinsky, a.a.O., Anmerkung 842, Franke, a.a.O., Anmerkung 216; Schwerdtfeger, a.a.O., Anmerkung 648). Nicht ausreichend ist indessen das bloße Anbieten von Hilfe. Ein Tätigwerden ist nötig, wobei dessen Dauer über wenige Augenblicke hinausgehen muss (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 8; Bieresborn, a.a.O., Anmerkung 256). Eine Eingliederung in das Unternehmen ist nicht nötig. Ein hoher Gefährdungsgrad der verrichteten Tätigkeit spricht eher gegen ein arbeitnehmerähnliches Tätigwerden (Riebel, a.a.O., Anmerkung 280a mit weiteren Nachweisen; Bieresborn, a.a.O., Anmerkung 273). Eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit ist zu verneinen, wenn die Handlung sich als Gefälligkeitsleistung aufgrund freundschaftlicher oder nachbarlicher Beziehungen darstellt (BSG SozR 2200 Nr. 55 zu § 539 RVO, Riebel, a.a.O., Anmerkung 283) Die Grenzziehung bei Hilfeleistung unter guten Bekannten, Nachbarn und Freunden gilt als besonders schwierig (dazu Krasney, Die „Wie-Beschäftigten“ nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, NZS 1999 Seiten 577 ff., 582). In Anlehnung an die Rechtsprechung zu Arbeiten zwischen Personen mit besonders engen persönlichen Bindungen und den Verrichtungen von Vereinsmitgliedern für den Verein sowie unter Vereinsmitgliedern ist davon auszugehen dass es sich bei reinen, nach Art und Umfang geringfügigen Gefälligkeitshandlungen unter Nachbarn und Bekannten nicht um solche handelt, die wie eine Beschäftigung verrichtet werden, sondern eben um Gefälligkeiten, die durch das Verhältnis unter guten Bekannten, Nachbarn und Freunden geprägt sind. Zur Abgrenzung einer arbeitnehmerähnlichen Mithilfe von einer bloßen Gefälligkeit kommt es auf Stärke und Intensität einer Beziehung an in der diese laufend praktiziert wird, wobei unter guten Freunden der Umfang von Gefälligkeitsleistungen umso größer ist, je enger das freundschaftliche Verhältnis sich darstellt (Krasney a.a.O., Seiten 582, 583; Kruschinsky, a.a.O., Anmerkung 856, 858 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Auch Art, Umfang und Zeitdauer der vorgesehenen Tätigkeit sind bedeutsam. (Kruschinsky, a.a.O., Anmerkungen 856, 858 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Als arbeitnehmerähnlich und versichert können sich auch Tätigkeiten im Rahmen eines Freundschafts- oder Bekanntschaftsverhältnisses darstellen, die länger andauern, besonders anstrengend und gefährlich sind (Franke, a.a.O., Anmerkung 218).

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Bei Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII geht der Senat aufgrund der Aussagen der Eheleute A. im polizeilichen Ermittlungsverfahren, der Angaben der Klägerin im Verwaltungs- und anschließendem sozialgerichtlichen Verfahren sowie der Aussagen der Zeugen N.-A. und C. in denselben Verfahren von folgendem im Vollbeweis erwiesenen Sachverhalt aus:

21

Der Landwirt G.-C., A-Stadt, nutzte zwei Weiden, die links und rechts einer Landstraße zwischen A-Stadt und dem Ortsteil D. belegen waren. Die Gatter beider Weiden lagen jeweils zur Straßenseite einander gegenüber. Am Sonntag, dem 25. August 2002, befanden sich auf der aus Richtung A-Stadt gesehen linken Weide vier Kühe mit Kälbern und eine Leitkuh, die von der Ehefrau des Unternehmers I.-C. den Eltern des Unternehmers K. und J.-C. und seinem Bruder H.-C. gegen 18:00 Uhr auf die rechtsseitig gelegene Weide hinübergetrieben werden sollten. Die vier Personen waren mit einem PKW und einem Traktor zur Weide gefahren, die beide auf der Fahrbahn abgestellt wurden. Nach Angaben des H.-C. vor dem Sozialgericht vom 16. Juni 2008 und vor dem Landessozialgericht vom 7. Dezember 2010 sollte mit zwei mitgeführten Litzen (Stahlseile mit Kunststoffüberzug) eine Gasse gebildet werden, durch die die Kühe über die Straße getrieben werden sollten, wie das in der Vergangenheit immer praktiziert worden war. Die Litzen sollten auf einer Seite an den Torpfosten angebunden werden und auf der anderen Seite von J. und I.-C. gehalten werden. K.-C. sollte das Gatter der linken Weide öffnen und die Kühe über die Straße treiben. Das Gatter auf der rechten Seite sollte I.-C. öffnen, bevor sie die Litze hochhielt. H.-C. sollte den Verkehr auf der Straße beobachten und notfalls warnen. Der gesamte Vorgang sollte nach Angaben des Unternehmers laut Telefonvermerk vom 11. August 2005 sowie den schriftlichen Angaben aller Teilnehmer der Familie C. vom 16. August 2005 etwa 15 Minuten betragen.

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Die Eheleute M. und N.-A., wohnhaft im Ortsteil D., hatten am Sonntagnachmittag ihre Tochter in A-Stadt besucht und waren auf der von A-Stadt aus gesehen rechten Straßenseite zu Fuß auf dem Rückweg nach D., als sie auf die ihnen bekannten Mitglieder der Familie C. trafen, die mit dem Viehtrieb beschäftigt waren. Die Leitkuh war nach den Angaben des K. und des H.-C. vom 26. August 2004 vor dem Amtsgericht L. bereits über die Straße auf die rechtsseitige Weide getrieben worden. Die vier Kühe mit Kälbern standen noch links und sollten in einer Gruppe hinübergetrieben werden. J. und I.-C. hatten die am linksseitigen Gatter angebundenen Seile bereits hochgehalten und auch schon abgesenkt, um drei PKW´s passieren zu lassen. Beim Eintreffen der Eheleute A. begrüßte J.-C. diese mit den Worten „Jetzt kommt aber Hilfe“ und fragte die Klägerin nach deren Angaben vom 7. Dezember 2010 „ob wir vielleicht fünf Minuten helfen könnten“. Sie gab N.-A. das von ihr gehaltene Seilende, damit er es hochhalten sollte. H.-C. bat die Klägerin, auf die andere Straßenseite zu kommen. Sie ging auf die linke Straßenseite, wo das Seil angebunden war. Dort wartete sie auf die Kühe, die K.-C. auf der linksseitigen Weide zusammengetrieben hatte und ging davon aus, „dass ich helfen sollte, weil ja auch noch kleine Kälber dabei waren, die bisher nicht über die Straße gegangen waren und für die das ungewohnt war. Ich wollte mithelfen, dass diese Kälber nicht davonliefen.“, so die Angaben der Klägerin im Termin vom 7. Dezember 2010. An dieser Stelle stehend wurde sie sodann vom Motorrad des F. getroffen und schwer verletzt, der von A-Stadt kommend die Landstraße mit so hoher Geschwindigkeit befuhr, dass er sein Motorrad nicht mehr abbremsen konnte, ins Schleudern geriet und mit dem Motorrad stürzte.

23

Die Eheleute A. waren 1994 aus Kasachstan nach D. gekommen. Die Klägerin hatte nach eigenen Angaben vor dem Landessozialgericht vom 7. Dezember 2010 zeitweise zusammen mit J.-C. in der Gaststätte Cafe P. gearbeitet. Auf Bitten der Zeugin J.-C. hatte sie danach wiederholt mehrere Jahre zwei- bis dreimal jährlich bei C. Fenster geputzt, ohne dass sie dafür Geld verlangt oder erhalten habe. J.-C. hat diese Angaben der Klägerin in der schriftlichen Zeugenaussage vom 20. März 2011 im Wesentlichen bestätigt, wobei es sich um zweimaligen Frühjahrsputz mit Fensterreinigung gehandelt haben soll, wofür sie allerdings 8,00 € pro Stunde an die Klägerin gezahlt habe. Da die Klägerin dem nicht widersprochen hat, geht der Senat hinsichtlich der Entgeltlichkeit von der Richtigkeit der Angaben der Zeugin aus. Im Übrigen pflegten die Familien C. und A. Kontakte, wie sie zwischen den Bewohnern eines Dorfes von etwa 1000 Einwohnern im Nordhessischen üblich sind. Laut schriftlichem Zeugnis der J.-C. hat man sich gegrüßt und auch kurz unterhalten. Die Eheleute A. haben das ebenso dargestellt.

24

Danach leistete die Klägerin eine vorübergehende, wenige Augenblicke überschreitende, nach eigenen Angaben etwa für die Dauer von fünf Minuten erbetene Mithilfe beim Kühetreiben, die einen zumindest geringen Wert für das landwirtschaftliche Unternehmen des G.-C. hatte und in innerem Zusammenhang mit dem Unternehmen stand. Aufgrund der objektiven Umstände durfte die Klägerin annehmen, dass ihre Mithilfe dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprach. Denn die als Vertreter des Unternehmers G.-C. anwesenden Familienmitglieder C. hatten die Eheleute A. als „Mithelfer“ begrüßt. J.-C. hatte N.-A. das von ihr gehaltene Litzenende übergeben, damit er es hochhalten sollte und H.-C. hatte die Klägerin gebeten, auf die andere Straßenseite zu kommen, „damit sie dort zur Hand gehen konnte, falls dies nötig gewesen wäre“, wie H.-C. im Termin vom 7. Dezember 2010 vor dem Landessozialgericht wörtlich bekundet hat. Mit dieser Einlassung hatte der Zeuge sich zwar teilweise in Widerspruch zu seiner Aussage vom 16. Juni 2008 vor dem Sozialgericht Kassel gesetzt. Für den Senat war indessen die letzte Aussage des Zeugen der Wahrheit entsprechend, da allein diese Aussage mit den Zeugenaussagen des N.-A., mehrfachen Angaben der Klägerin und auch der Einlassung der J.-C. übereinstimmt. Der Zeuge H.-C. hat vor dem Landessozialgericht insbesondere nachvollziehbar ausgeführt, dass er die Klägerin nicht auf die andere Straßenseite gebeten hatte, um sich dort mit ihr über private Dinge zu unterhalten. Denn der Viehtrieb hatte begonnen und er hatte die Aufgabe, den Straßenverkehr zu beobachten und notfalls zu warnen, sodass für private Gespräche in diesem Moment überhaupt keine Zeit war. Die Klägerin wechselte dementsprechend die Straßenseite, um bei Bedarf helfend eingreifen zu können, wobei sie davon ausging und ausgehen durfte, dass vor allem die vier Kälber beim Überqueren der Straße einer besonderen Aufmerksamkeit bedurften. Die Klägerin leistete die Hilfe nicht aufgrund einer besonderen Verpflichtung oder eines speziellen Rechtsverhältnisses zum Unternehmer G.-C. – wurde also nicht „in einer anderen Funktion“ tätig. Ihre Mithilfe hätte zwar auch von einer im landwirtschaftlichen Unternehmen G.-C. angestellten Person verrichtet werden können. In ihrer Ausgestaltung zeigte sie allerdings weniger die Grundstruktur eines Beschäftigungsverhältnisses, entsprang vielmehr der langjährigen Bekanntschaft zwischen Klägerin und Mitgliedern der Familie C. – insbesondere gegenüber J.-C. – und erhielt daraus ihr Gepräge. Die konkrete Hilfeleistung der Klägerin und ihres Ehemannes ergab sich somit aufgrund der konkreten sozialen Beziehungen zwischen den Familien C. und A. und erfolgte als kurze Hilfeleistung im Sinne einer üblichen, geringfügigen und alltäglichen Gefälligkeit, als geradezu selbstverständlicher Hilfsdienst.

25

Die Beziehung zwischen den Familien A. und C. stellt sich nicht als enges, täglich praktiziertes Freundschafts- oder Nachbarschaftsverhältnis dar, geht indessen über ein Verhältnis hinaus, wie es typischerweise zwischen Mitbewohnern eines Dorfes von etwa 1000 Einwohnern im Nordhessischen üblich ist. Denn J.-C. und die Klägerin waren Arbeitskolleginnen in der Gaststätte „Cafe P.“ gewesen und die Klägerin hatte der eigenen Einlassung vom 7. Dezember 2010 vor dem Landessozialgericht zufolge mehrere Jahre zwei- bis dreimal jährlich beim Hausputz geholfen, was J.-C. als Zeugin im Wesentlichen bestätigt hat. Wenn die frühere Arbeitskollegin die Klägerin und ihren Ehemann am Unfalltag mit den Worten begrüßte „Jetzt kommt aber Hilfe“, durfte die Klägerin dies als Aufforderung zur Hilfeleistung an sich und ihren Ehemann verstehen, dem J.-C. im Übrigen sogleich die zuvor von ihr selbst gehaltene Litze übergab. Anders als bei ihren Putzeinsätzen im Haushalt der Eheleute J. und K.-C., für die J.-C. einen Stundenlohn von 8,00 € bestätigt hat, stellte sich die jetzt erbetene Hilfeleistung anders dar. Die Hilfssituation ergab sich spontan, keine der Beteiligten hatte die Unterstützungsaktion geplant oder gar vorbereitet. Die Klägerin und ihr Ehemann kamen in Sonntagskleidung zu Fuß von einem Familienbesuch. Anders als die Einsätze beim Haus – bzw. Fensterputz, die angesichts der Dauer und häufiger Wiederholungen durchaus als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit in Betracht gekommen wäre, war die Mithilfe beim Viehtrieb, für den die C. insgesamt etwa eine viertel Stunde eingeplant hatten, nach eigenen Angaben der Klägerin vom 7. Dezember 2010 für die Dauer von „vielleicht fünf Minuten“ erbeten, war also „quasi im Vorbeigehen“ zu erledigen, sodass sich die Frage eines Entgelts überhaupt nicht stellte. Wäre der Viehtrieb wie geplant von statten gegangen, nachdem die Leitkuh die Straße bereits passiert hatte, als die Eheleute A. hinzukamen, hätte K.-C. die vier noch auf der abgegrasten Weide verbliebenen Kühe mit ihren Kälbern über die Straße geführt und die Klägerin hätte sich auf die bloße Bereitschaft zum Eingreifen beschränken können, soweit alle Kühe und deren Kälber die Straße zwischen den gespannten Litzen überschritten hätten. Der von den Tieren ausgehenden Gefahr war danach in erster Linie K.-C. ausgesetzt. Wie die umfangreichen Sicherungs- und Absperrmaßnahmen im Straßenraum zeigen, kam indessen als weiteres Gefahrenmoment das aus dem Straßenverkehr hinzu, das sich zu Lasten der Klägerin in Gestalt des Motorradfahrers F. realisiert hat. Dieses Gefahrenmoment stellte letztlich den einzigen, für eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit der Kläger sprechenden Gesichtspunkt dar. Denn im Übrigen wollte sie eine spontane, kurzfristig zu erledigende und ohne Anstrengungen zu erbringende Hilfstätigkeit leisten, und zwar im Rahmen einer Beziehung zweier gut und langjährig miteinander bekannter Familien.

26

Ihre Tätigkeit ist vergleichbar dem Botengang über die Straße zur Übermittlung einer Nachricht an den Nachbarn (BSG SozR 2200 § 539 RVO Nr. 57) oder der Einweisung eines Nachbarn in die Garage (dazu Riebel, a.a.O., Anmerkung 283 unter Hinweis auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 28. Februar 1979, Az.: L 2 Ua 1498/78), wobei die Rechtsprechung in beiden Fällen von jeweils unversicherten Hilfeleistungen ausgegangen ist. Im Vergleich zu Baumausastungsarbeiten während dreier Tage als nachbarschaftliche, unversicherte Mithilfe (Urteil des LSG Schleswig-Holstein in Breithaupt 2005, 480) waren die Hilfeleistungen der Klägerin deutlich weniger zeitaufwändig und auch nicht gefährlicher. Sie entspricht beispielsweise dem Absägen einiger Äste, die ein Schwager in wenigen Minuten verrichtete, und die als unversicherte Handlung angesehen wurde (BSG SozR 2200 § 539 RVO Nr. 66). Auch die tägliche Betreuung eines Hundes für die Dauer von fünf Minuten, wobei dieser die Betreuerin biss, ist in der Rechtsprechung als nachbarschaftliche unversicherte Hilfeleistung beurteilt worden, ebenso das Versorgen von fünf Schweinen und fünfzehn Hühnern während des Urlaubes des Schwagers (BSG SozR 2200 Nr. 55 zu § 539 RVO). Die erbetene Hilfeleistung war danach in einem nordhessischen Dorf unter einander gut und langjährig bekannten – wenn auch nicht befreundeten – Familien zu erwarten, wobei die Klägerin und ihr Ehemann jederzeit die Mithilfe hätten ablehnen und weitergehen können, was der Klägerin nicht in den Sinn kam, die ihre Einstellung zur gefälligen Mithilfe schon bei anderer Gelegenheit demonstriert hatte. Das konkret helfende Handeln der Klägerin war danach bestimmt von der Bekanntschaft und dem guten Verhältnis zur Familie C. und nicht einem Arbeitnehmerhandeln vergleichbar, so dass die erstinstanzliche Entscheidung zu bestätigen und die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückzuweisen war.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.

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